This article, which discusses a “Jugend forscht” project I did more than 10 years ago, originally appeared on Netzpolitik.org. Permission of reposting was given.


Vorratsdatenspeicherung von Autos: Ab nächstem Jahr durch eCall-System verpflichtend – äh „freiwillig“

Ab nächstem Jahr müssen alle Neuwagen in Europa mit GPS-Empfänger und Mobilfunk-Modem ausgestattet sein, um bei einem Unfall automatisch einen Notruf abzusetzen. Das schreiben zwei EU-Verordnungen vor. Neben der Verkehrssicherheit geht es vor allem um Industrieförderung – und mit „freiwilligen Zusatzdiensten“ fallen alle Datenschutzbestimmungen. Die Digitalisierung aller Lebensbereiche ergreift mit Riesenschritten auch die Mobilität. Bereits 2001 wurde auf dem Wettbewerb Jugend forscht das Projekt GSM-Schutzengel vorgestellt. Jetzt führt die Europäische Union eCall ein, ein automatisches Notrufsystem für Kraftfahrzeuge, das ab Oktober 2015 verpflichtend sein soll.

Bordeigenes eCall-System

Mit einer Verordnung (Parltrack) sollen alle neuen Modelle von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen ein „bordeigenes eCall-System“ bekommen:

Nach diesem Vorschlag müssen neue Typen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen so ausgelegt sein, dass bei einem schweren Unfall automatisch ein eCall-Notruf über die Notrufnummer 112 ausgelöst wird.


Eine zweite Verordnung (Parltrack) regelt die Infrastruktur der Notrufabfragestellen:

Vorschriften für das bordeigene System, die Telekommunikationsnetze und die Notrufabfragestellen

GSM und GPS in allen Autos

Der ADAC hat einen Überblick über die eCall-Technik, die schon bald in allen Neuwagen verbaut wird. Dazu gehören ein GPS-Empfänger zur Feststellung der Position, eine Mobilfunk-Einheit für das GSM-Netz, Notstrom sowie Mikrofon und Lautsprecher. Detektiert ein Sensor einen Unfall, wird automatisch ein Notruf an die 112 abgesetzt, die aktuelle Fahrzeugposition übermittelt und eine Telefonverbindung aufgebaut.

Eine Blackbox mit Ortsüberwachung in allen Autos in Europa? Aus Datenschutzperspektive schrillen da die Alarmglocken. Institutionen wie die Artikel-29-Datenschutzgruppe, der Europäische Datenschutzbeauftragteund Teile des EU-Parlaments haben immer wieder auf eine Reihe an Datenschutzproblemen hingewiesen.

Tatsächlich ist im techischen Standard festgelegt, dass das GSM-Modem außer bei einem Unfall (oder für Tests und Updates) offline ist. Andernfalls würde bei den Mobilfunk-Netzbeitreibern eine nahezu vollständige Datenbank aller Autofahrten in der EU entstehen. Die EU-Kommission frohlockt daher auch:

Das das eCall-System im Fahrzeug nur aktiv ist, wenn sich ein Unfall ereignet oder es manuell ausgelöst wird, gibt es kein Datenschutzproblem beim Tracking des Autos.

Verpflichtung heißt: kein Opt-Out

Doch ganz so einfach ist es nicht. Nicht ganz klar ist bisher, wie lange die permanent anfallenden GPS-Ortsdaten gespeichert werden und unter welchen Umständen die übermittelt oder ausgelesen werden können. Kritisiert wird auch, dass das System nicht nur standardmäßig verbaut wird, sondern auch nicht freiwillig abgeschaltet werden darf. Die Begründung liefert die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt:

Wenn jemand anderer in meinem Auto den Aus-Knopf drückt und vergisst, mir das zu sagen, bin ich bei einem Unfall nicht abgesichert.

Der offizielle Grund dafür ist die Verkehrssicherheit. Immer wieder werden 2.500 Verkehrstote erwähnt, die man damit jährlich verhindern will. Die Grünen haben einen Alternativvorschlag:

Und es gäbe Alternativen, allein die Reduzierung der Geschwindigkeit um 10 km/h durch ein europaweites Tempolimit würde mehr Menschenleben retten.

Freiwillige Zusatzdienste

Doch neben „Leben Retten“ hat die EU-Kommission noch einen zweiten Grund für das Vorhaben:Industrieförderung!

Es wird erwartet, dass die Fähigkeiten der eCall-Technologie-Plattform (Positionsbestimmung, Verarbeitung und Kommunikation) für zusätzliche Dienstleistungen genutzt werden können (z.B. fortschrittliche Versicherungssysteme, Verfolgung gestohlener Fahrzeuge usw).

Wenn also schon alle Autos GPS und Mobilfunk haben, wird die Wirtschaft auch tolle Sachen damit machen. Als „freiwillige Zusatzdienste“ bezeichnet das die EU-Komission – und erlaubt per „Opt-In“ sämtliche Datenschutzvorkehrungen wieder zu unterlaufen. Dass die Kommission selbst die Lokalisierung gestohlener Autos und neue Versicherungen vorschlägt, lässt tief blicken. Prognose: In zwei Jahren werden Kfz-Versicherungen, für die man nicht permanent seinen Standort (und damit Geschwindigkeit und Fahrdauer genauer als manche Fahrtenschreiber) direkt an die Versicherung übermittelt, teurer. Womit die Freiwilligkeit auch wieder dahin ist.

Finanzielle Anreize gegen Datenschutz

Thilo Weichert fallen noch ein paar weitere „Zusatzdienste“ ein:

Zielsetzung der Initiative eCall ist offensichtlich, flächendeckend in Kfz elektronische Systeme zu integrieren, die online per Mobilfunk erreichbar sind, die zugleich eine präzise Lokalisierung per Satellitennavigation (GPS oder Galileo) ermöglichen und eine Sprachein- und -ausgabe erlauben. Derartige Systeme können die Basistechnologie schaffen für eine Vielzahl weiterer Anwendungen. Interessierte Wirtschaftsbranchen können insofern sein: Telekommunikation, Speditions- und Flottenmanagement, Verkehrsplanung, Versicherungen, Kfz-Hersteller, -Händler und -Werkstätten, Pannendienste, Automobilclubs, Werbewirtschaft, Tourismus, Internetwirtschaft. Interessant können die Daten auch für Behörden sein, nicht zuletzt für Finanzbehörden und die Polizei.

Vor zweieinhalb Jahren haben wir noch berichtet, wie mittels automatischer Kennzeichenfahndung eine „Vorratsdatenspeicherung von Autos“ durchgeführt wird. Ab nächstem Jahr geht das dann ganz automatisch. Die Versicherungen und Geheimdienste werden sich freuen.